Frage nach Gott: Gebet - Name - Gedicht


Die über das Gebet vermittelte Beziehung von Gott und Mensch wird vielfach ausgehend von einem einfachen Kommunikationsmodell gedacht, das einen Sender (Mensch) und einen Adressaten (Gott) voraussetzt, zwischen denen es bisweilen eine Form der Kommunikation (Gebet) gibt. Demgegenüber gilt es die Frage zu stellen, ob man unabhängig vom Gebet überhaupt von Gott und Mensch als gegebenen Entitäten reden kann. Vielleicht muss das Gebet als noch grundsätzlicher verstanden werden: Erst das Gebet macht die Rede von "Gott" und "Mensch" möglich, es geht dieser voraus. Das Gebet hat dabei keinen anderen Inhalt als sich selbst: Seine Tiefenstruktur zeigt sich als die Bitte, Gott möge das Gebet des Menschen erhören. Gott möge sich im Gebet dem Betenden rettend als Adressat seiner Gebete erweisen. Die Sprache möge, wenn sie sich an das Absolute wendet, nicht ins Leere gehen. 

Das Gebet hat die Grundform des Sich-Adressierens an den Namen Gottes. Dahinter steht die weitreichende Frage, wie Denken und Sprechen dem Phantasma des menschlichen Zugriffs auf und der Verfügung über das Absolute entgehen können. Schematisch gesprochen, antwortet die atheistisch-sensible Haltung mit dem Hinweis auf die Grenze unseres Wissens und unserer Sprache. Sie enthält sich jeglicher absoluter Position und sieht den Namen als letzten subtilen Versuch, sich des Absoluten zu bemächtigen. Die religiös-sensible Position hingegen sieht im Namen und der Struktur des Sich-Adressierens einen Verweis auf eine Singularität, welche sich jeder Form von Repräsentation entzieht. Will Theologie die Brücke zum kritischen Denken nicht abbrechen, muss sie versuchen, sich je neu ausgehend von der subtilen Linie, die sie vom Atheismus trennt, zu verstehen. 

Das Gedicht ist vielleicht jene Sprachform, welche dem Gebet am nächsten kommt. Sie können sich bis zur Ununterscheidbarkeit einander annähern: Gebete wie die Psalmen können auch als Gedichte gelesen werden; Gedichte wie die Hölderlins oder Rilkes können auch als Gebete angesehen werden. Dennoch können Gebet und Gedicht nicht einfach miteinander identifiziert werden - auf je unterschiedliche Weise setzen sie den denotativen wie auch den imperativischen Charakter von Sprache, d.h. von Sprache als Übermittlung von Bedeutung, Information oder Aufforderung, außer Kraft. Das Gebet überschreitet jeden Inhalt, indem es ihn an den Namen Gottes adressiert, wo er aufgehoben sein möge. Das Gedicht verdoppelt den Inhalt, der sich auch in Gestalt der Prosa ausdrücken ließen, indem es ihn (in kunstvoller Weise) wiederholt und in die Gestalt des Gedichtes versetzt. Erst im Sich-Ereignen als Gedicht erhält er seine Bedeutung; Sprache fungiert nicht mehr als Repräsentation einer vor oder außerhalb ihrer gegebenen Realität. Vielleicht kann Theologie etwas über das Gebet lernen, wenn sie sich auf die Reflexion über Dichtung einlässt; vielleicht kann die Reflexion auf das Gebet aber auch umgekehrt einen Beitrag dazu leisten zu verstehen, was sich im Gedicht ereignet.